Das erste Kapitel meines neuen Kinderbuchprojekts „Jakobs Weltraumabenteuer“, an dem ich zur Zeit arbeite. Das Buch erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2023.
Als Jakob wie vom Blitz getroffen zusammenzuckte, erwachte er aus einem furchtbaren Alptraum. Er schlug die Augen auf. Um ihn herum war es stockfinster. „Wo bin ich?“, dachte er und rieb sich mit den Händen durchs Gesicht. Er tastete nach links und rechts. Schließlich bekam er seine Bettdecke zu fassen.
Von Draußen fiel ein schwacher Schein durchs Fenster, der einen dunkelgrauen ovalen Klecks auf den Fußboden tupfte. Allmählich gewöhnten sich Jakobs Augen an die Dunkelheit und er konnte schemenhaft einige Gegenstände ausmachen. Zumindest glaubte er, sein Tier-Mobile an der Deckenlampe, den Globus auf dem Bücherregal und den Fußballpokal auf dem Schreibtisch zu erkennen. Es waren vertraute Dinge, die signalisierten: Du befindest dich in deinem Zimmer. Du liegst in deinem Bett. Du bist zu Hause.
Die heftigen Traumbilder wirkten noch nach. Mit seinem inneren Auge sah er, wie vor ihm Nebel aufstieg, wie er schwer atmend durch den Wald strauchelte. Trotz großer Anstrengung kam er nur sehr langsam vorwärts. Als hätte er Blei an den Füßen, kostete ihn jeder Schritt große Anstrengung. Er suchte seine Eltern, traute sich jedoch kaum, nach ihnen Ausschau zu halten. Sobald sich sein Blick auf eine Stelle konzentrierte, entdeckte er verschwommene Gespenster, die hinter Baumstämmen hervorlugten. Er stolperte, glitt zeitlupenartig zu Boden. Er versuchte, nach seinen Eltern zu rufen, bekam aber keinen Ton heraus. „Maamaa, Paapaa, wo seid iiihr?“, hatte er auf den Lippen. „Bitte laaasst mich nicht aalleeiinn!“ Es war wie in einem Stummfilm: Die Stimme versagte, und niemand konnte ihn hören. Nur die Gespenster wurden auf ihn aufmerksam und glotzten zu ihm herüber. Als sie ihre weißen, langen Arme nach ihm ausstreckten, ging der Spuk endlich vorüber, und Jakob fand sich in seinem Bett wieder.
Wie spät mochte es sein? Jakob sah auf den Wecker, der neben ihm auf dem Nachttisch stand. Das Ziffernblatt leuchtete ein wenig. Der kleine Zeiger hatte bereits die Zwölf weit hinter sich gelassen. Der große Zeiger stand bei neun. Es war Viertel vor eins. Normalerweise schlief Jakob um diese Zeit so tief und fest wie ein Murmeltier.
Hatte ihn das Strömen geweckt, das er hörte? Obwohl das ungewöhnliche Geräusch weiter entfernt zu sein schien, musste es seinen Alptraum durchkreuzt haben. Es war ein helles, perlendes Rauschen, das alle paar Sekunden durch ein leises Piepsen übertönt wurde.
Jakob schob die Decke zurück, raffte sich auf und ging zum Fenster herüber, das in den warmen Sommernächten meist offen stand. Gähnend sah er hinaus. Der Halbmond stand am Himmel und in weiter Ferne funkelten zigtausend Sterne.
Ein Stern war besonders. Er blinkte und begann sich zu bewegen. Langsam kam er näher und schien Kurs auf ihr Haus zu nehmen. „Spinn ich, oder was passiert hier gerade?“, dachte Jakob. Um die Müdigkeit zu vertreiben, rieb er sich die Augen. Frische Luft einatmend stellte er fest, dass es sich bei dem Stern um ein kleines Flugobjekt handeln musste.
Es hatte die Form einer Taschenlampe. Der Reflektor schickte einen Lichtstrahl voraus. Die Oberfläche des Gefährts glänzte metallisch. An einer Seite blinkte wie bei Polizei- oder Feuerwehrautos ein Blaulicht. Auf dem zylindrischen Rumpf befand sich eine Kommandobrücke. Hinter der Frontscheibe konnte man schemenhaft die Umrisse einer kleinen Gestalt erkennen, die einen Steuerknüppel und andere Bordinstrumente bediente.
Wenige Meter vor Jakobs Fenster verringerte die schwebende Taschenleuchte, die ungefähr einen halben Meter lang war, die Geschwindigkeit. Sie änderte die Flugrichtung, zog nach rechts und drehte einige Runden.
Wartete der Pilot darauf, eine Landeerlaubnis zu erhalten? Jakob trat ein Stück zur Seite und winkte ihn heran.
Ein bisschen unheimlich war ihm schon zumute, als das Raumschiffchen durch die ziemlich schmale Fensterhälfte in sein Zimmer manövrierte. Nach wie vor rauschte und piepte es. Der Scheinwerfer strahlte einzelne Dinge an, während das Gefährt umherflog. Langsam glitt es am Bücherregal entlang. Es umkreiste das Tier-Mobile unter dem Lampenschirm und näherte sich im Sinkflug dem Papierkorb. Von dort aus nahm es Kurs auf Jakobs Bett. Es schwebte über die Decke und das Kopfkissen hinweg. Schließlich flog es zum Schreibtisch hinüber, drosselte das Tempo und landete sachte auf der Holzplatte.
Jakob trat aufgeregt näher an den Tisch heran und starrte auf das kleine Ufo. Der Motor, das Blaulicht und der Schweinwerfer gingen aus. Diesmal gewöhnten sich Jakobs Augen schneller an die Dunkelheit und er konnte beobachten, wie sich seitlich an der Kabine eine Tür öffnete. Ein zwergenhafter Schatten, nicht größer als eine Spielzeugfigur, huschte heraus. Er trug eine Kapuze auf dem Kopf, die dem Gesicht zusätzlich einen trüben Schleier verlieh. Jakob hatte keine Ahnung, mit welcher Art von Wesen er es zu tun hatte. Weil es sehr klein war, hatte er jedoch keine Angst. „Wer bist du?“, wollte er wissen.
Sein Gegenüber hatte ihn offenbar verstanden. „Ich heiße Krixilan Frieldem Batusum Siegenfahrt von Klurenstein im Bagenbuck“, sagte das Wesen mit einer hellen, niedlichen Stimme. „Und ich komme von Plontox Klabum 727.“
Während es sprach, drehte es sich zum Fenster und zeigte auf einen der unzähligen Sterne am Himmel. „Der da drüben ist mein Heimatplanet“, fügte es hinzu.
Jacob hatte natürlich keine Ahnung, welcher Stern genau gemeint war. Und wie sein Besucher hieß, konnte er sich kaum merken. „Wie lautet noch mal dein Name?“, hakte er nach.„Krixilan Frieldem Batusem Siegenfahrt von Klurenstein im Bagenbuck“, wiederholte das Wesen geduldig. „Aber du kannst mich einfach Krixilan nennen.“
Jakob stellte sich ebenfalls vor. „Ich bin Jakob Bremer, Bewohner der Erde.“
„Oh, klingt interessant“, sagte Krixilan freundlich. „Und ich glaube, die Erde ist ein toller Planet. Wie ich gehört habe, wachsen bei euch jede Menge Pflanzen, vor allem viele feine Apfelbäume.“
Jakob fand es amüsant, dass Krixilan die Erde als Planet bezeichnete, auf dem es vor Apfelbäumen nur so wimmelte. Als ob sie das Wichtigste von der Welt wären. „Sind Äpfel deine Leibspeise?“, fragte er.
Krixilan schüttelte sich. „Spinnst du! Äpfel kann man doch nicht essen. Sie sind viel zu sauer!“
„Es gibt auch süße Sorten“, erklärte Jakob. „Aber warum sind Äpfel für dich so wichtig, wenn du sie gar nicht magst?“
Krixilan zeigte auf sein Ufo. „Egbatos braucht Apfelsaft, sonst kann er nicht fliegen. Verstehst du, was ich meine?“
Jacob nickte. Sein Ufo, das er Egbatos nannte, benötigte Apfelsaft als Treibstoff. Wahrscheinlich war der Tank so gut wie leer. Und weil Jakob vermutlich der einzige Mensch war, der mitten in der Nacht nicht schlief, hatte sich der außerirdische Pilot dazu entschlossen, ausgerechnet in seinem Zimmer notzulanden. „Ja, der Tank ist fast leer“, sagte er. „Hast du etwas Apfelsaft übrig?“
Jakob wollte ihm gerne helfen. Aber bevor er in die Küche schlich, vorbei an Mama und Papas Schlafzimmer, wollte er sehen, mit wem er es zu tun hatte. „Hast du was dagegen, wenn ich mal kurz das Licht anmache?“, fragte er.
„Ist mir egal“, meinte Krixilan. „Meine Augen sind äußerst anpassungsfähig, und ich kann immer alles gut sehen, egal ob es stockfinster oder strahlend hell ist.“
Jakob trat einen Schritt vor und knipste die Schreibtischlampe an. Krixilan, der mitten im Lichtkegel stand, zog sich die Kapuze ab, so dass Jakob seinen geheimnisvollen Besucher aus dem All endlich genau betrachten konnte.
Der Außerirdische sah ganz anders aus, als Jakob ihn sich vorgestellt hatte. Obwohl er wie ein Mensch aufrecht ging, erinnerte sein Kopf an ein Krokodil. Er hatte keine Haare. Seine Haut war grün und schrumpelig. In dem langen Mäulchen, das etwas geöffnet war, steckten spitze Zähne. Der Oberkiefer mündete in ein Organ, das vornehmlich aus zwei kleinen Nasenlöchern bestand. Wie der Kopf waren die Arme grün und faltig. Er trug ein weites, schwarzes Gewand mit einem Gürtel um den Bauch.
Jakob musterte den Außerirdischen mit skeptischer Miene. „Ein bisschen unheimlich sieht er schon aus“, ging es ihm durch den Kopf. Als ob Krixilan Jakobs Gedanken lesen konnte, versuchte er ihn zu beschwichtigen: „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Auch wenn ich ganz anders aussehe als du: Ich werde dich nicht auffressen!“
Jakob fühlte sich ertappt. Der kleine Krokodiljunge hatte ihn durchschaut. Natürlich konnte er ihm nichts anhaben. Und verschlingen konnte er ihn erst recht nicht. Aber Jakob musste sich eingestehen, dass er für einen kurzen Moment eine Abneigung gegen den fremden Besucher empfunden hatte. Nun tat es ihm fast leid.
Bevor er sich auf den Weg in die Küche machte, um den Treibstoff zu organisieren, knipste er vorsichtshalber die Schreibtischlampe wieder aus. Falls jemand zufällig durch den Flur ging, musste ihm ja nicht flugs ins Auge springen, dass er einen Gast in seinem Zimmer hatte.
„Bis gleich“, sagte Jakob. Wie ein Einbrecher öffnete er leise die Tür und schlich am Schlafzimmer seiner Eltern vorbei. Die Tür war nur angelehnt und er hörte, wie Mutter sich im Schlaf leise räusperte. Langsam tastete er sich vor, ging vorsichtig die Treppe hinunter und betrat die Küche. Ohne das Licht einzuschalten fand er den Weg zum Kühlschrank, öffnete ihn und nahm eine Flasche Apfelsaft heraus. Sie war noch fast voll und würde zweimal ausreichen, um den kleinen Ufo-Tank aufzufüllen. Außer der Flasche nahm er noch einen Trichter mit.
Krixilan hatte Jakob schon erwartet. Er öffnete den Tankdeckel, der außen am Ufo angebracht war, und schaute auf Jakobs Flasche. Dieser drehte den Verschluss auf, führte den Trichter in die Tanköffnung und ließ den Saft einlaufen. Schnell füllte sich der Behälter, und am Ende musste Jakob aufpassen, dass die Flüssigkeit nicht überschwappte.
Krixilan nickte zufrieden. „Danke, du hast mir sehr geholfen“, sagte er. Lächelnd fügte er hinzu: „Wollen wir Freunde sein?“
Jakob fand Krixilan auch sehr nett und nickte: „Ja, gerne.“